Harnsteinarten und ihr Aussehen

Zur Untersuchung von Harnsteinen wurden sehr frühzeitig Mineralogen und Chemiker herangezogen, da sie die notwendigen Analysetechniken beherrschten. Dabei wurde fest­gestellt, dass die Mehrzahl der Harnsteinsubstanzen auch in der Natur als Mineralien und geologische Ablagerungen vorkommen. Folgerichtig hat es sich ergeben, die mineralogischen Namen zur Bezeichnung der Harnsteinarten zu verwenden. Häufig wurden die Mineralien nach ihren Entdeckern oder zu Ehren von bedeutenden Forschern oder spezifischen Eigenschaften der Substanzen benannt. Aus historischen Gründen sind die mineralogischen Bezeichnungen stets maskulin. Bei rein chemischen Namen (z.B. die Harnsäure, das Cystin) weicht das davon ab.

Kalziumoxalate

Whewellit; Kalziumoxalat-Monohydrat; CaC2O4 · H2O
Erstmalig entdeckt wurde dieses Mineral 1852 von H.J. Brooke und W.H. Miller im “Glückauf­Schacht“ bei Burgk (Freital/Sa). Sie benannten das Mineral nach dem britischen Mineralogen und Naturphilosophen William Whewell (1794 - 1866). Zusammen mit anderen Mineralien wie z.B. Calcit (CaCO3) wird Whewellit weltweit in der Natur gefunden. Neben freier Oxalsäure kann er auch in Pflanzen  (Sauerampfer, Sternfrucht, Spinat, Mangold, Rote Beete, Kakao u.a.) als schwerlösliches Kalziumoxalat in hohen Konzentrationen eingelagert werden. In Harnsteinen kommt Whewellit am häufigsten vor und ist meist mit Weddellit und/oder Karbonatapatit vermischt.

Whewellit-Steine

Weddellit; Kalziumoxalat-Dihyat; CaC2O4 · 2 H2O
Weddellit wurde erstmals bei einer schottischen Antarktisexpedition (1902 - 1904) von A. Earland beschrieben. Die genaue Analyse wurde erst 1936 von F. A. Bannister und M. H. Hey vorgenommen. Sie benannten das Mineral nach dem Fundort, dem Weddell-Meer in der Antarktis östlich der südlichen Shetland Inseln. Dieses Meer wurde nach dem Antarktisforscher James Weddell (1787 - 1834) benannt.
Als Reinsubstanz ist Weddellit sehr instabil und wandelt sich in den stabilen Whewellit unter Abspaltung von Kristallwasser um. Durch Einlagerung von anderen Harninhaltsstoffen werden im Körper stabile Weddellitkristalle gebildet, die sich zu Harnsteinen zusammenlagern können. Wie Whewellit wird Weddellit sehr häufig in Harnsteinen  gefunden. Bei Weddellit-Steinen ist mit einer schnellen Rezidivbildung zu rechnen.

Weddellit-Steine
Phosphate

Karbonatapatit; Dahllit; karbonathaltiger Hydroxylapatit; Ca10(PO4, CO3)6(OH,CO3)2
Apatite sind sehr verbreitet in der Natur und haben als Grundbausteine Kalzium­ und Phosphat­Ionen. Durch Einbau von Fremdionen bilden sich Mineralien mit verschiedenen Eigenschaften aus, wie z.B. Fluor­, Chlor­, Hydroxyl­ und Karbonatapatit. Die Bezeichnung Apatit kommt aus dem Altgriechischen (ápatán) und bedeutet „täuschen“, da die Apatite Ähnlichkeiten mit anderen Mineralien wie Quarz, Beryll, Topas, Turmalin u. a. haben.
In Kalziumphosphat-Harnsteinen werden Hydroxylapatit-Strukturen mit Karbonateinlagerungen in verschiedenen Konzentrationen festgestellt. Daher spricht man meist von Karbonatapatit. Die Bezeichnung Dahllit hat sich in der Harnsteinanalyse nicht durchgesetzt.
Karbonatapatitsteine bilden sich im alkalischen Harnmilieu (pH > 7,0) auch bei Harnwegsinfektionen.

Karbonatapatit-Struvit-Mischstein

Brushit; Kalziumhydrogenphosphat-Dihydrat; CaHPO4 · 2 H2O
Dieses Mineral wurde erstmals von Gideon E. Moore 1865 im Guano der karibischen Insel Sombrero festgestellt. Nach der Analyse wurde dem neuen Mineral der Name Brushit zu Ehren des amerikanischen Mineralogen und Metallurgen Georg J. Brush (1831 - 1912) gegeben. Brush legte eine große Mineralsammlung an, die in das Peabody Museum (Yale University, New Haven, USA) aufgenommen wurde.
Brushit ist eine ideale Substanz um Metall und Knochen zu verbinden und wird in der Orthopädie eingesetzt. In Harnsteinen kommt Brushit relativ selten vor (ca. 1% der Steine); er hat aber eine große Bedeutung aufgrund seiner Härte und sehr schnellen Rezidivbildung.

Brushit-Stein

Struvit; Magnesium-Ammonium-Phosphat-Hexahydrat; MgNH4PO4 · 6 H2O
Struvit wurde erstmalig von Georg L. Ulex 1846 bei Grabungen unter der Kirche St. Nikolai in Hamburg entdeckt. Es wurde nach dem russischen Diplomaten, Mineralogen und Geologen Heinrich G. von Struwe (1772 - 1851) benannt, der in Hamburg lebte. In der Natur bildet sich Struvit in torfigen, bakterienreichen Böden mit Viehmist und Vogelkot.
Als Harnstein ist Struvit der charakteristische Infektstein beim Menschen.

Struvit-Stein
Harnsäure und Urate

Harnsäure; Uricit; C5H4N4O3
Der deutsch­schwedische Apotheker und Chemiker Karl Wilhelm Scheele (1742 - 1786) ent­deckte im Harn und Harnsteinen 1776 eine Substanz, die er Harnsäure nannte. Scheele wurde in Stralsund geboren und forschte zusammen mit seinem Freund und Förderer A. J. Retzius in verschiedenen Orten Schwedens. Auch mit T. O. Bergman arbeitete Scheele zusammen, der von ihm unabhängig die Harnsäure entdeckte. Scheele war in seinem relativ kurzen Leben ein sehr erfolgreicher Forscher, er entdeckte z. B. auch Sauerstoff und Stickstoff unabhängig von J. Priestley.
Als Harnstein kommt Harnsäure in ca. 10 % aller Fälle vor. Es ist der typische Wohlstandsstein und ist häufig mit einer Gichterkrankung verbunden.

Harnsäure-Stein

Urate; Salze der Harnsäure, C5H3N4O3  Na/K/NH4
Als Säure kann Harnsäure H­-Ionen abgeben und durch andere Kationen (Na, K, NH4) ersetzen. Die Salze der Harnsäure werden Urate genannt. Entscheidend ist der Harn­-pH, der bei der Uratbildung über pH 6,5 liegt.
Ammoniumuratsteine werden endemisch in asiatischen Staaten bei Unterernährung gebildet, sind aber auch charakteristische Steine bei Harnwegsinfekten und erhöhter Harnsäureaus­scheidung.

Ammoniumurat-Steine
Cystin und andere genetisch bedingte Steinbildung

Cystin; L-Cystin, C6H12N2O4S2
Cystin ist eine dimere Verbindung, die durch Oxidation aus zwei Molekülen der Aminosäure Cystein gebildet wird. Es ist besonderer Bestandteil der Zellen des Immunsystems, der Haut und der Haare (auch der Borsten und Federn). Entdeckt wurde Cystin 1810 in einem Blasenstein von dem englischen Arzt, Physiker und Chemiker William H. Wollaston (1766 - 1828). Im Griechischen heißt die Harnblase „kýstis“, daher die Bezeichnung Cystin. Wollaston entdeckte u.a. auch die Elemente Palladium und Rhodium.
Die erhöhte Cystinausscheidung über die Nieren ist die Folge eines genetischen Defektes bei der Rückresorption von dibasischen Aminosäuren.

Cystin-Stein

Xanthin (2,6 Dihydroxypurin, C4H4N4O2)
Xanthin ist ein Zwischenprodukt im Purinstoffwechsel und wird durch Xanthinoxidase zur Harnsäure abgebaut. Bei Hunden erfolgt ein weiterer Abbau durch Uricase zu Allantoin. Die Bezeichnung Xanthin geht auf das griechische Wort „xanthos“ zurück, da sich die Substanz bei Zusatz von Salpetersäure gelb färbt.
Der erste Xanthinstein eines Menschen wurde von Alexander J.G. Marcet (1770 - 1822) einem schweizerisch-­britischen Chemiker und Arzt analysiert. Die Steinbildung aufgrund einer Xanthin­urie geht auf den genetische Defekt der Hemmung der Xanthioxidase zurück. Da Xanthin relativ gut löslich ist, entstehen nur sehr selten Steine.

Xanthin-Steine

2,8-Dihydroxyadenin, C5H5N5O2
Es handelt sich um eine sehr seltene Erkrankung, jedoch sollte bei nicht schattengebenden Steinen in der Röntgenaufnahme speziell im Kindes- oder jugendlichen Alter an diese Steinart gedacht werden. Die Ursachen dieser Steinbildung liegen im Purinstoffwechsel. Das anfallende Adenin wird normalerweise mit Hilfe des Enzyms Adenin-Phosphoribosyltransferase (APRT) zu Adeninmonophosphat (AMP) metabolisiert. Bei verminderter Aktivität von APRT wird Adenin unter Beteiligung des Enzyms Xanthinoxidase zu 2,8-Dihydroxyadenin (2,8-DHA) metabolisiert. 2,8-DHA ist im Harn schwer löslich und führt schnell zur Kristallurie mit Steinbildung. Liegt dieser Defekt nicht vor, wird kein 2,8-DHA mit dem Harn ausgeschieden.

2,8-DHA Steine
Harnkristalle

Kristalle im Harn treten als normaler Befund auf, wenn der Harn sehr konzentriert ist. Meist werden sie bei entsprechender Verdünnung des Harns ohne Beschwerden ausgespült. Lagern sich aber die Kristalle zu größeren Aggregaten zusammen, können diese im harnableitenden System - Niere, Harnleiter, Harnblase - stecken bleiben und zu Harnsteinen weiter wachsen. Für die Bildung von Kristallen/Steinen aus Kalziumoxalat (Whewellit und Weddellit), Harnsäure und auch Kalziumphosphat (Karbonatapatit) spielen die Harnverdünnung, die Ernährung und der Harn-pH (Säurewert) eine entscheidende Rolle. Andere charakteristische Kristalle können aber auch durch Infektionen (Struvit) oder genetisch bedingte Erkrankungen im Harn ausgeschieden werden und zu Steinen heranwachsen. Bei letzteren betrifft es Kristalle aus Cystin, Xanthin und 2,8-Dihydroxyadenin. Eine besondere Gefährdung besteht bei der ebenfalls genetisch bedingten, seltenen primären Hyperoxalurie, die zur Kalziumoxalat-Kristallurie mit massiver Steinbildung führt. Alle genannten Substanzen bilden charakteristische Kristalle, die unter dem Mikroskop und nach Isolierung auch sicher mit Hilfe der Infrarospektroskopie analysiert werden können.

Katheterinkrustationen

Bleiben Katheter, Harnleiterschienen oder Stents längere Zeit im Körper kann es in Abhängigkeit vom Harnmilieu zu verschiedenen Inkrustationen dieser Fremdkörper kommen. Nach Analyse der aufgelagerten Kristalle können medikamentöse Maßnahmen zur Verhinderung von Inkrustationen eingeleitet werden.

Katheterinkrustation

Literatur: 1) Leusmann DB (2000); Whewellite, weddellite and company: where do all the strange names originate? BJU International 86: 411­13. 2) Hesse A, Neiger R (2008); Harnsteine bei Kleintieren. Enke Stuttgart. 3) Hesse A, Tiselius HG, Siener R, Hoppe B (2009); Urinary Stones, Diagnosis, Treatment and Prevention of Recurrence. 3rd edition, Karger Basel. 4) Hesse, A. (2014); Nomenklatur der Harnsteinarten, woher Weddellit,  Apatit & Co. ihre Namen haben. URO NEWS 18:20-22.